„Moralspektakel“ von Philipp Hübl

子曰:「鄉原,德之賊也。」(Lunyu, 17.13)

„Jene ehrbaren Leute im Lande sind Räuber der Tugend“ (Wilhelm)

Um mit Konfuzius‘ Worten zu sprechen, beschäftigt sich Philipp Hübl in diesem Buch mit den „Räubern der Tugend“, die zwar ein Moralspektakel aufführen, ohne sich aber um die Beseitigung echter Missstände zu kümmern. Stattdessen nutzen sie ihre moralischen Äußerungen in erster Linie zum Ausdruck von Status und Gruppenzugehörigkeit oder eben als Waffe, um Macht und Einfluss auszuüben.

Hübl beschreibt den Übergang von einer Autoritätskultur, in der man großen Wert auf Stärke und Respekt legt, hin zu einer Autonomiekultur, bei der die Würde des Einzelnen im Zentrum steht. Heute erleben wir dagegen die Anfänge einer Fürsorgekultur, bei der Empfindsamkeit und Mitgefühl besonders wertgeschätzt werden. Hat man sich in einer Autoritätskultur noch dafür geschämt Opfer geworden zu sein, tauchen in der Fürsorgekultur plötzlich Opfer-Hochstapler auf, die versuchen aus angeblichen Leid Kapital zu schlagen. Prominentes Beispiel wäre der Musiker Gil Ofarim, der einem Hotelmitarbeiter Antisemitismus vorgeworfen hat, wobei sich die Anschuldigungen als Verleumdung herausgestellt haben.

Es geht um Greenwashing, Pinkwashing und wie Unternehmen ihr „moralisches Kapital“ erhöhen, indem sie Diversitätsprogramme mit zweifelhaftem Nutzen ins Leben rufen. Hübl spricht von Shitstorms, Opfer-Hierarchien und unserer Suche nach moralischer Reinheit.

Ironischerweise bedeutet eine Rezension dieses Buchs auf den sozialen Medien zu teilen, ebenfalls am Moralspektakel teilzunehmen. Auf die Frage hin, ob Moralphilosophen nicht sehr hohe Ansprüche an die eigene Lebensführung haben müssten, hört man gerne das wahlweise Adorno, Schopenhauer oder Scheler zugeschriebene Zitat: „Der Wegweiser geht auch nicht den Weg, den er weist.“ Ich dagegen identifiziere mich lieber mit dem Pfosten, an dem das Schild angebracht wurde.

Vollpfosten4life!

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