Hier ist einer meiner Lieblingsstellen aus dem alten „Buch der Lieder“ (Shijing 詩經). Es entstand zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. als der König, der Legende nach, seine Beamten aussendete, um aufzuzeichnen welche Lieder das Volk so singt. Sind es fröhliche Lieder, geht es den Leuten gut, haben sie aber den Blues, muss sich an der Politik etwas ändern. Leider sind die Melodien längst verloren gegangen, sodass heute nur noch die Lyrics überliefert sind.
Das hier abgebildete Volkslied stammt aus dem Staate Wey im heutigen Henan und besingt die Schönheit der Gattin des Fürsten von Wey. Dabei wird sie (unironisch) mit Holzwürmern und Zikaden verglichen, aber am besten muss ihr strahlendes Lächeln ausgesehen haben: „Die Zähn‘ ein Kürbiskernbereich“





Hier besteht auch der Zusammenhang mit dem Beitrag zur aktuellen Ausstellung über die singenden Insekten im Nationalmuseum Taiwan. Tatsächlich ist das nicht die einzige Stelle im „Buch der Lieder“, wo Zikaden löblich erwähnt werden. Vielleicht hat auch die Seidenraupe damit zu tun, dass manche Insekten in China eine weniger schlechte Reputation haben als bei uns.
Die alte Übersetzung von Victor von Strauss (von 1880!) steht hier der modernen Übersetzung von Rainald Simon (2015) gegenüber. Während sich Strauss viel Mühe gegeben hat die einzelnen Verse zu reimen, wollte Simon eine präzisere, texttreuere Übersetzung liefern. Strauss ist daher für gewöhnlich schöner und Simon näher am Original.
In diesem Fall aber muss ich der Übersetzung des alten Strauss einfach den Vorzug geben. „Zähne perlweiß“ (chi ru huxi 齒如瓠犀) und „zierliches Köpfchen“ (qinshou 螓首), sowie der „Hals des Schwans“ (ling ru qiu qi領如蝤蠐) führen einen komplett in die Irre und sind Ausdruck unseres heutigen, westlichen Schönheitsideals. „Die Zähn‘ ein Kürbiskernbereich“, die „Cicadenstirne“, sowie „Der Hals wie weißer Holzwurm bleich“ passen dagegen viel besser zum Original!
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